DFV-Exkursion 2010 führte nach Hamburg: Freidenker machten das „Tor zur Welt“ auf

Kategorie: Veranstaltungen Veröffentlicht: Sonntag, 18. April 2010

Die Teilnehmer der dritten Exkursion des DFV-Landesverbands Nord standen dieses Jahr mit Petrus in einem besonders guten Verhältnis. Drei Tage Sonnenschein, die ersten Frühlingstage in der Sonne Hamburg genießend, viele Informationen  empfangend und neue Mitstreiter kennenlernen  – das war kurz gesagt die Bilanz vom 16. bis 18. April. Die insgesamt 14 Teilnehmer kamen aus Hamburg, Kiel, Schleswig, Neustrelitz und Rostock.

Am Nachmittag des 16. April nahmen die Teilnehmer, die bereits angereist waren, nachmittags an der Veranstaltung des Kuratorium „Gedenkstätte Ernst Thälmann“ e. V. (GET) zum Geburtstag des Namensgebers, des von den Nazis1944 ermordeten Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) teil. Die Teilnehmer – insgesamt nahmen an der dreitägigen Tour 14 Mitglieder und Freunde des DFV teil – legten mit anderen Besuchern der Veranstaltung vor dem einstigen Wohnsitz der Familie Thälmann (bis 1944) und jetzigen Gedenkstätte rote Nelken vor der Gedenktafel nieder (s. Foto). Zuvor hatten sie Beiträge von Hein Pfohlmann und Lisa Sukowski, Mitgliedern der Geschäftsführung der GET, und anderen Anwesenden zur Situation der Hamburger Gedenkstätte(n) sowie zum bevorstehenden 1. Mai und zum 8. Mai, dem 65. Jahrestag der Befreiung, gehört. Angelika Scheer machte auf die bevorstehende Gedenkveranstaltungen anlässlich der Cap-Arcona –Katastrophe vom 3.5.1945 in Neustadt/Holstein und anderen Orten entlang der Ostseeküste am 3. Mai d. J. aufmerksam. An dem Gedenken in Neustadt beteiligt sich regelmäßig der DFV-Landesverband Nord. Johanna Jawinski aus Rostock, die als Gast an der DFV-Exkursion teilnahm, berichtete über Aktivitäten in ihrer Heimatstadt und auch in  Berlin anlässlich des diesjährigen Befreiungstages, der in Mecklenburg-Vorpommern ein offizieller Gedenktag 1990 eingeführt worden ist. Nur von staatlicher Seite würde an diesem historischen Tag nichts getan.
Deshalb würden die  Rostocker VVN/BdA und andere antifaschistische Organisationen die Inititive ergreifen und Veranstaltungen an diesem Tag durchführen.

Nach der Veranstaltung fuhren die am Freitag Angereisten in den Bramfelder Kulturladen, um dort in der Tratoria Ciao den Abend nett ausklingen zu lassen und sich kennenzulernen – soweit das nicht schon der Fall war. Dazu gehörten auch als Gäste Inge und Wolfgang Runge vom GET-Vorstand, die einst im Sekretariat der Weltunion der Freidenker (WUF) mitgearbeitet und an Weltkongressen der WUF als Delegierte teilgenommen haben.

Am nächsten Tag traf sich die Gruppe am  Hafen um 9.45 Uhr rechtzeitig in der Speicherstadt, um nicht im erwarteten Gedränge von Hunderten von Besuchern aus dem In- und  Ausland in dem Miniaturwunderland unterzugehen.  Die Anlage, die Teile aus der ganze Welt im Kleinen zeigt – von Hamburg bis Arizona und zurück-  ist die Größte, die es weit und breit gibt. Dieser  Besuch geschah auf Wunsch und Anregung von Hans Simon aus Neustrelitz. Doch auch gab es für andere Teilnehmer ein großes Erstaunen über die riesigen Dimensionen, die diese Eisenbahnlandschaften aus aller Welt zeigen. Die Fläche nimmt einen ganzen Boden eines früheren Speichers ein, wo sonst Waren aus aller Welt gelagert wurden. Bis 2013 gibt es Pläne zum Ausbau eines Großflughafens.- natürlich in Miniaturausgabe.

Nach dem Rundgang besuchten wir die „Ständige Vertretung der Rheinischen Republik“, eine Restauration in der Nähe des Rödingsmarktes. Der Name der Gaststätte lehnt sich an, als es noch eine Ständige Vertretung der Deutschen Demokratischen Republik in Bonn gab. Alle Wege an diesem Tag wurden zu Fuß erledigt. Das war nötig, um in der Hamburger Innenstadt und am und im Hafen keine Parkprobleme zu haben. Nachdem wir in dem urigen Ambiente der Gastronomie mit Bildern von Kohl und Honecker und vielen anderen, fast schon vergessenen Politikern und typischen Plakaten aus den letzten Jahrzehnten (so das bekannte CDU-Plakat „Alle Wege führen nach Moskau“,  das später von der NPD genutzt wurde) gut 2 Stunden verbracht hatten, kam Michael Grill von der Organisation „Spurensuche“ (GbR).  Michael Grill ist darüber hinaus in der Arbeitsgemeinschaft Jugendweihe aktiv. Er ist zudem bei der KZ- Gedenkstätte tätig. Doch an diesem Tage ging es um den Hafen, speziell um die Veränderung im Hamburger Hafen zur „Hafen City“, den großen baulichen Veränderungen, die schon einst zur Verdrängung von Tausenden ansässigen Menschen, vor allem Arbeiterfamilien führte. Sie mussten ihre Wohnquartiere im Hafen Ende des 19. Jahrhunderts verlassen, damit der Freihafen und die Speicherstadt entstehen konnten. Damit die Freie und Hansestadt Hamburg ab 1888 in das neu gegründete Deutsche Reich integriert werden  konnte. Ein Kompromiss mit dem damaligen Kanzler Fürst von Bismarck, dessen großes Denkmal immer noch sichtbar über Hamburg zu sehen ist.  Sonst wären wir Hamburger nur Hamburger und nicht deutsche Staatsbürger geworden. Ob uns das viel ausgemacht hätte, frage ich im Nachhinein. Denn ein Großteil Hamburgs (so die 1937 zwangsweise eingegliederten  Städte Altona und Wandsbek) war bis dahin über 500 Jahre Teil des Königreich Dänemarks gewesen. Doch zurück zur Gegenwart ... Die Idee von dem „Sprung über die Elbe“ und dem Ausbau des Hafens zu einem neuen Wohnquartier kam vor Jahrzehnten von den sozialdemokratischen Bürgermeistern von Dohnanyi und Voscherau. Es sollten sowohl sog. Sozialwohnungen als auch frei finanzierte Wohnungen gebaut werden. Doch es ist anders gekommen. Für Normalverdiener, für „gewöhnliche“ Leute  wurden kaum Wohnungen geplant. Umgesetzt wird die Planung nun schon in zwei Legislaturperioden von dem CDU-Bürgermeister Freiherr von und zu – noch nicht auf und davon – Ole von Beust und seinen Senatoren. Mal mit dem  rechtslastigen Schill und seiner Partei und heute mit einer Koalition mit der GAL, so heißen die Grünen Hamburgs. Das Leuchtturmprojekt die Elbphilharmonie ist unter der Rubrik „Pleiten, Pech und Pannen“ auch bundesweit bekannt geworden. Einst sollten es unter 100 Millionen Euro werden – so das Angebot der Baufirma  Hoch-Tief AG. – jetzt wird es wohl mehr das Dreifache betragen und man spricht schon von einer halben Milliarde Euro. Wir standen vor dem Fragment dieses Bauwerks im Hafen, das auf einem unter Denkmalschutz stehenden Schuppen gebaut wurde. „Schuppen“ - das sind große Speicher im Hafen, in denen ausländische Ware zwischengelagert werden, die entweder später verkauft und verzollt werden oder die Ware wird wieder unverzollt ausgeführt.

Ein weiterer Knackpunkt, auf den Michael Grill in seinem dreistündigen Rundgang aufmerksam machte und über den wir als Freidenker auch mehrfach in unserem Rundbrief berichteten, ist das sog. Maritim-Museum des Herrn Tamm. Herr Tamm war einst Vorstandsvorsitzender der Axel-Springer AG und hat in 30 Jahren  weltweit Militaria und Marine-Utensilien  wie Kanonen, kleine U-Boote und anderes „Kriegsspielzeug“ in seiner Villa im vornehmen Stadtteil Blankenese gesammelt.  30 Millionen Euro hat der Senat mit einem einstimmigen Beschluss der Bürgerschaft (also auch der SPD) zur Verfügung gestellt, um diese zu groß gewordene private Sammlung der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen und hat ihm einen Kaischuppen überlassen, in dem er jetzt als „Admiral“ in dem vor zwei Jahren unter Protest eröffnete Museum residiert. Die Konzeption für das Museum wurde nicht von staatlicher Seite entwickelt, sondern von Tamm und seiner Crew, die unter anderem faschistische und militaristische Dinge aus der Marine unkommentiert ausstellt.

In Michael Grills kurzweiliger und sehr  informativen Beschreibung der Hamburger Zustände durfte aber auch der Feind aller Pfeffersäcke nicht fehlen. Mit dem  Bau der Hafen-City wurde auch sein Denkmal versetzt, nämlich das von Klaus Störtebeker, das vor dem Zollamt Brooktor stand. Dessen angeblicher Kopf, der bei Ausgrabungen in einem Hafenbecken mit anderen Schädeln gefunden wurde und als Publikumsmagnet im Museum für Hamburgische Geschichte(Hamburgmuseum) ausgestellt worden war, ist Anfang diesen Jahres aus  eben diesem Museum gestohlen worden. Das Museum hat eine Belohnung ausgesetzt. Das Exponat hat allerdings keinen Marktwert (Hamburger Abendblatt vom 20.1.10). Vom hoch gelegenen Aussichtspunkt erläuterte Michael abschließend die Lage des früheren Hannoverschen Bahnhofs, vor den Elbbrücken an der Norderelbe gelegen, der einfach zunächst von der Stadtplanung „vergessen" worden war, aber als historischer Ort für die Antifaschisten wichtig ist. Von hier aus wurden Juden, Cinti und Roma in die Vernichtungslager in den Osten ab 1944 transportiert. Nachdem auf diesen Fakt aufmerksam gemacht wurde, wird dort  zumindest ein Gedenkstein  errichtet werden. Dann wenn das ganze Areal in den nächsten Jahren fertiggestellt worden ist. Am St.-Annen-Ufer, benannt nach einer Kirche die einst im  alten Hafen stand und mit den Häusern der Hafenarbeiter Ende des 19. Jahrhunderts abgerissen wurde, endete der umfangreiche Vortrag, der mit großem Dank an Michael Grill aufgenommen wurde. Anschließend alle  hungrig und durstig genug, um am an zwei reservierten Tischen im historischen
Gewölbe der Weizenbierbauerei Gröninger in der Neustadt jenseits des Zollkanals ab 18.00 bis zum
Abwinken Platz zu nehmen. Dabei ging es hoch her bei Gesprächen, Musik und Gesang. Anschließend ging es für alle in die Quartiere.

Die auswärtigen Teilnehmer, die im Hotel übernachteten, wurden am nächsten Morgen, dem dritten Tag der Exkursion um 8.45 Uhr  abgeholt um mit Fahrzeugen zunächst zum Ohlsdorfer Friedhof, dem größten Parkfriedhof der Welt, zu fahren. Hier wurde an drei Orten  an historische Daten erinnert, die auch für uns Freidenker wichtig sind.
Zunächst gingen wir zum großen Mahnmal vor dem Krematorium, das Urnen mit der Asche  von Ermordeten aus vielen Konzentrationslagern enthält. Ilse Jacob, die Tochter des hingerichteten Hamburger KPD-Bürgerschaftsabgeordneten und Mitglied des Vorstands der
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten und des Kuratoriums der Gedenkstätte Ernst Thälmann führte die Besucher zu den weiteren Punkten des Rundgangs. Das war zunächst das Denkmal für die gefallenen Kämpfer für die Deutsche Republik nach den revolutionären Ereignissen von 1918/1919 nach der Abdankung des Kaisers und der Ausrufung der Sozialistischen Republik  durch Karl Liebknecht und zur bürgerlich-parlamentarischen Republik durch Ebert und Scheidemann.
Zum Schluss des Rundgangs ging es zum Ehrenhain der Widerstandskämpfer gegen den Faschismus. Hier erläuterte Ilse die Entwicklung des jetzigen Ehrenhains und der Umbettung der sterblichen Überreste der Toten aus den Konzentrationslagern, der Immigration und der später verstorbenen Antifaschisten und die hier begrabenen wurden bzw. eine Tafel erhielten. Derzeit haben 54 Menschen  hier ihre letzte Ruhestätte gefunden (Foto). Mit der Entwicklung des Kalten Krieges aufgrund der amerikanischen CIA-Intervention in Westeuropa hatte auch der sozialdemokratische Senat gegen den Willen der VVN eine Verlegung des unmittelbar nach der Befreiung angelegten Ehrenhains von einer sichtbaren Stelle zu einer unscheinbaren und versteckten Stelle des riesigen Friedhofs veranlasst. Dazu gibt es ein sehr informatives und umfangreiches Buch mit dem Titel ...., das  Ursel Hochmuth, die Schwester Ilse Jacobs, vor einigen Jahren im VSA-Verlag veröffentlicht hat.

Nach diesem gut eine Stunde dauernden Rundgang fuhren wir zur letzten Zwangsarbeiterbaracke in Hamburgs. Dort empfing uns Holger Schulze von der Willi-Bredel-Gesellschaft Geschichtswerkstatt e. V. (WBG). Vor einigen Jahren  wurde das  Holzhaus, eine Baracke, die von KZ-Insassen nach der Bombardierung Hamburgs 1943 errichtet worden war, unter  Denkmalschutz gestellt. Mehr zufällig wurden Mitarbeiter der Willi-Bredel-Gesellschaft  bei Auszug des letzten Bewohners dort auf die Geschichte der Behausung aufmerksam.  Die letzten  Unterlagen der Firma Kohfahl, die die Zwangsarbeiter aus mehreren Ländern, vor allem aus den Niederlanden, angefordert  und von der SS „zugewiesen“ bekommen hatte, sollten beim Auszug verbrannt werden. Zuletzt wohnten in den früheren Baracken am Hamburger Flughafen Fuhlsbüttel ausgebombte Hamburger. Dank der Initiative der nach dem Hamburger Arbeiterschriftsteller benannten Geschichtswerkstatt konnte die Baracke erhalten und von den Mitarbeitern der WBG betreut werden. Die WBG ist eine von 15  Geschichtswerkstätten in der Hansestadt, die auch finanzielle Zuwendungen von der Kulturbehörde bekommt. Sie ist für die Stadtteile Langenhorn, Fühlsbüttel und Ohlsdorf verantwortlich. Willi Bredel, einst Redakteur der heute noch verbotenen Hamburger Volkszeitung, der Tageszeitung der Hamburger KPD bis zum Verbot 1956, war ab 1933 als Gefangener im Konzentrationslager Fuhlsbüttel (KOLAFU). Dort, im nahe gelegenen Hamburger Gefängnis, ist vor Jahren im Torhaus ein Erinnerungsort der KZ-Gedenkstätte Neuengamme eingerichtet worden. Es gab in Hamburg und Umgebung über 100 Nebenlager von Neuengamme. In einem Katalog der Gedenkstätte Neuengamme und der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg sind 90 Objekte in allen 7 Hamburger Bezirken aufgeführt, die an die Zeit der Verfolgung, des Widerstands und des Krieges erinnern. Im Curiohaus-Prozess, der von der  britischen Besatzungsmacht gegen hohe Amtsträger und Verbrecher des Naziregimes nach 1945 durchgeführt wurde, war ein einziger Angeklagter der besagten Firma vor
Gericht, der sich wegen Misshandlung von Zwangsarbeitern zu verantworten hatte und verurteilt
wurde.

Nach diesen für die meisten älteren Teilnehmer doch anstrengenden Tagen wurden  Reisende dann zur S-Bahnstation Ohlsdorf gebracht, dort, wo auch die Willi-Bredel-Gesellschaft vor dem Freibad Ohlsdorf ihr Domizil hat, und verabschiedet. Man sieht sich wahrscheinlich im Herbst  in Neustrelitz zum Wochenendseminar wieder.
Anschließend gingen die verbliebenen Exkursanten zum verdienten abschließenden Mittagessen beim Griechen um die Ecke. Am späten Nachmittag konnten die letzten Freidenker in Richtung Kiel und Schleswig verabschiedet werden. Auch die dritte Exkursion konnte zur Zufriedenheit der Teilnehmer durchgeführt  werden. Das waren die einhelligen Bekundungen der Teilnehmer der dritten Exkursion der norddeutschen Freidenker

USch.